7 Monate Katamaran….ich gehe jetzt leben
Als ich vor 7 Monaten in Guatemala auf den Katamaran ging, wollte ich gar nicht lange bleiben aber dann haben sich viele Dinge anders entwickelt. Letztendlich lebte ich 7 Monate auf einer Yacht in der Karibik und irgendwie haben wir auch 2000 Seemeilen geschafft, meistens mit dem falschen Wind, manchmal trieben wir auch ohne irgendwo hin. Nach Guatemala, Belize, Mexiko, Kuba, Haiti, der Dominikanischen Republik ist es jetzt Zeit für neue Abenteuer und ich freue mich darauf meine neuen Pläne zu verwirklichen.
Wenn jemals jemand Ähnliches vorhat, so sollte er wissen das dies nichts mit Romantik oder „coolem Leben“ zu tun hat. Oft habe ich bei meinen Deutschlandbesuchen gehört „oh wie cool ist das denn“ oder „das ist ja total romantisch“.
Wenn bei Hitze und Feuchtigkeit die Farbe im Innenraum Blasen wirft, Matratzen, Wände, Polster und der Rest anfängt zu schimmeln, es bei 43 Grad und Windstille kein Entkommen vor der Sonne mangels Sonnenschutz gibt, Wasser und Strom rationiert sind, Nahrungsmittel ausgegangen sind, völlig übermüdet von Nachtschichten der ganze Körper schmerzt und der nächste Ankerplatz noch 5 Tage entfernt ist, wird schnell klar, dass dies kein Wellness Trip ist.
Wem es dann noch unklar ist, der kann sich gerne dazu vorstellen, dass die Motoren der Reihe nach kaputt gehen, Fenster undicht sind und überall das Wasser durch den hohen Wellengang reingedrückt wird. Waschküchenwasser und Wellen, die so hoch sind, das man nur noch kriechen und kaum noch stehen kann. So heftig, das ich bei jedem Wellenschlag sehe wie sich die Wände der vorderen Kufe nach innen drücken und beim ohrenbetäubenden Knall denke ich, das bestimmt die nächste Welle das Boot komplett zerschmettern wird. Falsche Wellenrichtung, falscher Wind. Was auch immer.
Das unglaublich nervige Gefühl 20 Stunden für 70 Seemeilen unter Motor zu fahren, um dann letztendlich nicht mal dort anzukommen wo man ursprünglich hin wollte. Wochenlanges durchgehendes nerviges Geräusch von dem Autopiloten, Tag und Nacht, so das man hofft dieser möge endlich einfach implodieren, bevor man davon wahnsinnig wird. Noch ein paar Unwetter dazu, monatelanges Leben ohne Kühlschrank, Feuer an Bord, eine Monsterwelle die das Beiboot zur Hälfte wegreißt, ein Fast-Überfall in Haiti auf das Boot durch zwei andere Boote, oder auch, immer mal wieder morgens aufzuwachen und als erstes in weiße Augen in schwarzen Gesichtern zu blicken weil das Militär an Bord will und sich die Nasen am Fenster plattdrückt. Ein Katamaran der auf einem Riff aufsetzt, schäbige Ankerplätze in dreckigen Häfen, laute Ankerplätze vor Strandbars, ein paar Krankheiten, Brandwunden, Schädelverletzungen, zwischenmenschliche Katastrophen bei denen sich das Innere nach außen kehrt, hunderte Moskitos die sich hungrig auf einen stürzen und bei all dem fahren stundenlang die Eingeweide Achterbahn, während die Zunge vor Wassermangel am Gaumen klebt und das Gehirn vom Schlafentzug ganz taub ist.
Die Liste lässt sich noch nahezu unbegrenzt erweitern und mit Sicherheit habe ich genügend Stoff für zwei Bücher, ich glaube spätestens jetzt wird klar, dass das Leben an Bord wenig mit Romantik zu tun hat, sondern verdammt hart sein kann. Vieles kann man sich einfacher machen und vieles kann viel schöner sein, wenn man weiß worauf es ankommt. Jetzt weiß ich es.
Ich habe einige sehr besondere Momente erlebt und ich bin froh das Experiment gewagt zu haben. Es war eine wirklich intensive Zeit.
Was bedeutet es an Bord einer Yacht dauerhaft zu leben? Kann ich eigentlich so leben?
Diese Frage stellte sich mir tatsächlich erst als ich an Bord war. Vorher war ich einfach mal davon ausgegangen. Warum auch nicht? Gesegelt bin ich früher schon oft und seekrank wurde ich nie. Da wusste ich von vielen Dingen noch nichts.
Davon das mir die Haare ausfallen werden weil ich das Shampoo wegen rationiertem Wasser nicht auswaschen kann und sich Keime in dem nicht vor der Sonne geschütztem Wasser bilden. Oder davon, dass ich Ausschlag und Bauchkrämpfe kriegen würde weil ich das Tankwasser trinken muss da unser Trinkwasser ausgegangen ist. Oder das ich mich nackt und ungeschützt vor 4000 Leuten auf dem daneben ankernden Kreuzfahrtschiff Royal Cruise waschen muss weil es keinen anderen Platz dafür gibt. Dieses Boot hat keinen Waschraum, keine Dusche und keinen Sichtschutz (und natürlich auch keinen Sonnenschutz). Ich wusste nichts davon das ich tatsächlich fast ersticken würde, weil meine Luftröhre komplett zu schwillt und ich vom Schimmel ganz krank werde. Nichts von lauten Party-Ankerplätzen. Und auch nichts davon das meine Tage damit gefüllt werden würden wie und woher man die nächsten Vorräte bekommt, wie lange sie reichen müssen und wie ich sie lagern kann. Ich musste lernen das es normal ist, wenn mindestens drei Dinge an Bord gleichzeitig kaputt sind. Ich wusste nicht wie mein Körper auf Schlafentzug reagiert. Und wie es ist, wenn sich Tag und Nacht vermischen, jegliches Zeitgefühl völlig verschwindet, weil es irrelevant ist. Und auch nichts von den dunklen Seiten, die Extrembedingungen hervorbringen.
Ich kann die Frage heute mit ja beantworten. Ich liebe das Leben auf dem Wasser. Und ich liebe das Meer und den Wind. Und die Naturgewalten die aus beiden entstehen können. Ich mag es immer wieder woanders zu sein. Tagelang einfach nur rumzutreiben, nichts und niemanden zu sehen. Völlig einsam zu sein. Unbewohnte Inseln zu erforschen. Ich liebe es Probleme zu lösen und bin gespannt auf neue Herausforderungen. Ich mag die Millionen Sterne über mir wenn ich nachts an Deck liege. Das Gefühl des totalen Nichts um mich herum. Die völlig dunklen Nächte, in denen man sich in totaler Schwärze nur noch an der Navigation orientieren kann. Das Gefühl der totalen Freiheit. Die Spannung, die einen ergreift, wenn man einen neuen unbekannten Ankerplatz anläuft. Ich mag es in den Schlaf geschaukelt zu werden und das Plätschern des Wassers an der Bordwand zu hören. Die kleinen Tiere die am Boot nagen und so prickelnde Geräusche nachts machen, wenn alles still ist.
Ich habe mich in das Bordleben verliebt. Ganz langsam hat es sich angeschlichen um mich dann nicht mehr loszulassen. Ich liebe es auf dem Wasser zu leben. So sehr, dass es für mich alle anderen Dinge tausendfach aufwiegt.
Einmal bei meiner Tages-Schicht dachte ich wir fahren auf riesige Holzstämme zu. Das Meer vor uns war mit großen dunklen Flecken übersät. Ich drehte sofort 20 Grad nach Backbord ab und holte das Fernglas. Was ich dann sah war unglaublich. Es waren unzählige dreieckige Flossen die aus dem Wasser ragten. Ganz gemächlich schwammen ca. 30 Wale vor und neben uns. Grindwale vor Haiti. Eine ganze Gruppe. Ich wollte sie so gerne unter Wasser sehen, schnappte meine Taucherbrille, sicherte mich mit einem Seil an meinem Bein und sprang ins Wasser. Die Wale kamen ziemlich nah. Sie waren genauso neugierig wie ich. Ich hatte Schwierigkeiten mich im Wasser trotz Seil zu halten, weil die Wellen hoch waren und die Strömung mich wegdrängte. Eine ganze Zeit blieben die Wale beim Boot. Bevor sie abdrehten kam einer tatsächlich noch zum Verabschieden direkt hinter das Boot, erhob sich ein Stück aus dem Wasser und drehte sich. Dann waren alle verschwunden. Das war ein wirklich besonderer Moment. Ich bin mittlerweile mit Haien, Stachelrochen, Muränen, Barracudas, Riesenschildkröten, Delfinen und sämtlichen anderem Getier aus dem Meer geschwommen aber die Wale waren sehr Besonders.
Besonders war auch der Moment als wir vor einer kleinen Insel ankerten, an Land gingen und sahen das hier die Menschen in völliger Einfachheit leben. Teilweise wohnen sie noch in Höhlen wo Decken vor die Eingänge gespannt sind. Zum größten Teil wohnen sie in Zelten. Ein ganzes Dorf, völlig abgeschnitten. Aufgespannte Hängematten als Schlafstellen, ausgelagerte Kochstellen über offenem Feuer. Fisch, der auf Schnüren gespannt in der Sonne trocknet. Und überall große dicke Leguane, die für Fleischmahlzeiten gehalten werden.
Seltsame Momente auch vor Haiti, als uns „Segelboote“ von Fischern entgegen kamen, die Segel aus zusammengenähten Reissäcken oder Betttüchern gebastelt hatten. Oder vor Kuba, wo ich meinen Augen nicht traute, weil die Fischer dort teilweise gar keine Boote hatten, sondern in Autoreifen auf dem Meer rumtrieben und ihre auf Plastikflaschen gewickelte Schnüre raushielten, in der Hoffnung irgendetwas möge anbeißen damit die Tagesmahlzeit gesichert ist.
In Belize kam einmal ein Fischer eine lange Strecke von Land bis zu unserem Ankerplatz angerudert und wir tauschten feinstes Lobsterfleisch gegen eine kleine Flasche Rum, wir hatten sonst nichts zum tauschen und Geld wollte er nicht. Die Nationalparkwächter der Riffe, die in einem Boot ankamen, teilten dort sogar mit uns ihren frisch gepressten Ananas-Kokossaft, wir hatten leider gar nichts was wir zurückgeben konnten.
Ich bin oft von der Hilfsbereitschaft beeindruckt gewesen. Davon, wie jemand völlig Fremdes mit mir eine Stunde in der Stadt nach einer Sim Karte für mein Smartphone sucht und noch seinen Pass für mich hergibt. Oder als die Tarantel vom Dach des Supermarktes in Guatemala auf mich fiel und die Leute meine Einkäufe einpackten, weil ich es einfach vor Schreck gar nicht mehr konnte. Oder auch der Minenarbeiter, der mich nach einem Skorpionstich nachts über die Berge ins Krankenhaus gebracht hatte.
Das Leben auf dem Boot ist anders. Anders, als alles was man sich so theoretisch vorstellen kann. Ein kleiner Einkauf kann den ganzen Tag dauern, wenn es schlecht läuft. Nachtschichten können mürbe machen. Die Änderung der Windrichtung kann ganze Pläne wieder zerstören. Manche Probleme kann man nicht sofort oder gar nicht lösen. Ich habe gelernt mit 2 Bechern Wasser am Tag auszukommen und weitestgehend auf Komfort zu verzichten. Das was ich letztendlich als schlimm und nicht lösbar empfunden habe, war der Bewegungsmangel. Man kann manchmal viele Tage nicht von Bord gehen. Aber was mich nie gestört hat, ist die Enge und das niemals Alleinsein. 24 Stunden 7 Tage die Woche mit jemandem zusammen sein, egal wie es läuft und egal wie man sich fühlt. Eine wirklich geniale Erfahrung von unschätzbarem Wert.
Ich habe sehr viel gelernt in den letzten Monaten, mehr als jemals zuvor. Über mich.
Jetzt gehe ich leben….aber woanders.
Gefällt mir Wird geladen …